Annotation von Redewiedergabe

Richtlinien entwickelt im Projekt "Redewiedergabe"

Stand: 14.06.2018 (Achtung: Die Richtlinien befinden sich in Entwicklung. Änderungen sind jederzeit möglich.)

Kurzüberblick

Bei Wiedergabe in ihrer prototypischen Form geht es darum, dass eine Rede-/Gedanken- oder Schreibhandlung einer Figur 1 von einer Figur 2 (in literarischen Texten auch dem Erzähler) mehr oder minder detailliert vermittelt wird.

Hinweis: Auch wenn das Annotationsschema erlaubt, Sonder- und Randfälle der Wiedergabe durch zahlreiche Attribute zu markieren, sollte diese Definition im Hinterkopf behalten werden, wenn man entscheidet, ob etwas als Wiedergabe annotiert werden soll. Zu große Interpretationssprünge sollten vermieden werden. Siehe dazu auch die enge Definition von Gedankenwiedergabe und die Ausführungen bei reported und bei den einzelnen Attributen, insbesondere border.

Hauptklassifizierung STWR: Wiedergabeformen

Die Haupt-Annotation für Wiedergaben erfolgt mit dem Tag 'STWR' (speech, thought, writing representation).

Dessen wichtigste zwei Attribute (medium und type) kategorisieren die Wiedergaben auf zwei Achsen:

medium Was wird wiedergegeben?

speech (Rede)

thought (Gedanken)

writing (Geschriebenes)

 
type Auf welche Weise wird wiedergegeben?

direct (direkt)

free indirect (frei-indirekt, 'erlebt')

indirect (indirekt)

reported (erzählt)

Er sagte: "Ich bin hungrig."

Wo sollte er nur jetzt etwas zu Essen herbekommen?

Er sagte, er sei hungrig.

Sie sprachen über Restaurants.

Die "type"- und "medium"-Werte werden kombiniert, so dass sich folgende zwölf Möglichkeiten ergeben:

direct speech indirect speech free indirect speech reported speech
direct thought indirect thought free indirect thought reported thought
direct writing indirect writing free indirect writing reported writing

Weitere Attribute für STWR

Zusätzlich können jeder STWR-Annotation in Grenz- und Sonderfällen weitere Attribute zugeordnet werden:

  • level (Grad der Einbettung in andere Wiedergaben)
  • non-fact (in der Textwelt nicht wirklich ausgeführte Rede, also bspw. negiert, hypothetisch, zukünftig, fragend, wünschend, planend)
  • prag (pragmatisch anderer Zweck der Wiedergabe, z.B. Redewendungen)
  • metaph (metaphorische Wiedergabe)
  • border (Grenzfälle der Wiedergabe, z.B. Gefühle, Empfindungen, Zustände)

Rahmenformel, Sprecher, Wiedergabeeinleiter

Drei weitere Tags werden verwendet, um die Rahmenformel der Wiedergaben und deren Details zu markieren:

  • frame: Rahmenformel, die einer oder mehreren Redewiedergaben zugeordnet werden kann, und deren Position im Verhältnis zur betreffenden Redewiedergabe (z.B. er sagte:)
    • frame hat das Attribut pos mit den Werten start, mid, end: Markiert die Position der Rahmenformel relativ zur Wiedergabe

Folgende Detailannotationen sind immer Teil von frame:

  • speaker (Sprecher/Denkender/Schreibender) (z.B. er)
  • intExpr (Wiedergabeeinleitungsausdruck) (z.B. sagte)

Technische Hinweise

Die Annotation erfolgt mit dem Annotationsoberfläche STWR-View im Programm ATHEN.

Hinweis: Die Farben, die in diesen Annotationsrichtlinien zur Markierung von Annotationsbeispielen verwendet werden, entsprechen nicht den Farben in ATHEN. Es wird im Allgemeinen Grün für alle Markierungen verwendet und die genaue Kategorisierung in eckigen Klammern angegeben. Andere Farben werden nur verwendet, wenn Annotationen unterschiedlichen Typs im gleichen Beispiel unterschieden werden müssen.

Markierungsgrundregeln

Der folgende Abschnitt beschäftigt sich mit den Begrenzungen von Annotationsmarkierungen.

Einschübe

Zusammenhängende Wiedergabepassagen (auf Satzebene oder darunter) müssen immer als solche erkennbar sein. Finden sich darin Elemente, die eindeutig nicht zur Wiedergabe gehören, werden diese ausgespart. Die beiden Teil-Passagen müssen dann allerdings per ID verlinkt werden. Solche Verlinkungen sollten die Ausnahme bleiben.

Bsp.: Der Einschub in Klammern (bzw. unten: in Gedankenstrichen) wird nicht mitannotiert, obwohl er die indirekte Wiedergabe in zwei Teile teilt. Die beiden Wiedergabe-Teile erhalten die gleiche ID.

Er sagte ihr, daß er, bei dieser Stimmung der Gemüter und dem Umsturz aller Verhältnisse, seinen Entschluß, sich nach Europa einzuschiffen, aufgebe; daß er vor dem Vizekönig, der sich seiner Sache immer günstig gezeigt, falls er noch am Leben sei, einen Fußfall wagen würde; und daß er Hoffnung habe [indirect speech, ID=1] (wobei er ihr einen Kuß aufdrückte), mit ihr in Chili zurückzubleiben. [indirect speech, ID=1]

Gleich im Beginn kam die Kunde, daß die erste Vorlage der Regierungen [indirect speech, ID=2] - es war freilich nur der Handelsvertrag mit Spanien - einstimmig angenommen sei. [indirect speech, ID=2]

Rahmenformeln

Rahmenformeln werden unabhängig von der zugehörigen Wiedergabe (direct oder indirect) annotiert und dieser dann zugeordnet (vgl. dazu Kategorie frame).

Ihm kam der Gedanke, [frame, ID=1] daß er vielleicht die Kinder wieder zum Leben bringen könnte. [indirect thought, ID=1]

Satzzeichen

Bei der Annotation von frame (=Rahmenformel) werden die zwischen frame und zugehöriger Wiedergabe stehenden Satzzeichen grundsätzlich als zur frame gehörig angesehen und daher mitannotiert. Punkte gehören unabhängig von ihrer Position ebenfalls zur Annotation (vgl. unten)

Bei den anderen Kategorien werden Satzzeichen nicht mitannotiert, außer eine der folgenden Bedingungen trifft zu:

  • Das/die Satzzeichen ist/sind inmitten der Annotation.
  • Ein vollständiger Satz wird annotiert.
  • Die Annotation reicht bis zum Satzende.

Bsp. 1: Hier werden beide Kommas zu frame zugehörig annotiert:

»Ihr müßt mich nicht für zudringlich halten«, fing Bertha an, »mein Mann sagt, daß Ihr so edel denkt, daß es unrecht sei, Euch etwas zu verhehlen.

Bsp. 2: Keine der genannten Voraussetzungen trifft zu; das Komma wird nicht annotiert:

Statt dessen hatten sie ihn vorgeladen, verhört, lauter Theater mit ihm aufgestellt.

Bsp. 3: Annotation erstreckt sich bis zum Satzende; der Punkt wird annotiert:

Ihm kam der Gedanke, daß er vielleicht die Kinder wieder zum Leben bringen könnte.

Modifikatoren

Modifikatoren (z.B. Artikel, Adjektive, Relativsätze, Temporalangaben...), die sich auf den Sprecher oder den Wiedergabeeinleitungsausdruck beziehen, werden bei der Annotation von frame und reported grundsätzlich mitannotiert.

Am Abend sprach Selim, der ein treuer Diener war, mit fester Stimme: »Dein Wille geschehe, o Herr!«

Konjunktionen/Subjunktionen

Konjunktionen/Subjunktionen werden mitannotiert, wenn sie klar dem betreffenden Satz/Teilsatz zuzuordnen sind.

Bsp.: Durch das Komma ist das "und" eindeutig dem folgenden Teilsatz zuzuordnen:

In dem Augenblicke, da der Taumel der Leidenschaft sie verließ, zog sie die Vernunft zu Rate, um den getanen Fehlschritt wieder gutzumachen, und diese treue Ratgeberin sagte ihr, daß sie wieder in das Schloß zurückkehren, und den Treubrüchigen vergessen sollte.

STWR: medium

Für jede Wiedergabe wird das Medium ("Was wird wiedergegeben?") spezifiziert.

Im Folgenden die prototypischen Definitionen der drei Möglichkeiten:

speech (Rede) eine lautliche, kohärente Äußerung zum Zweck der Kommunikation
writing (Schrift) ein Schreibprozess oder eine schriftliche Fixierung von Sprache zum Zweck der Kommunikation
thought (Gedanken) ein bewusster, analytischer, kognitiver Prozess, 'stumme Rede' (Achtung! Enge Definition!)

Allgemeine Hinweise

  • Annotiert werden nur Textpassagen, in denen eindeutig (also ohne Interpretationsaufwand) ein Wiedergabeakt vorliegt.
  • Wenn nicht festzusstellen ist, um welches Medium es sich handelt (z.B. ob etwas laut ausgesprochen oder gedacht wird) ist es möglich, zwei Werte zu vergeben (z.B. speech und thought). Von dieser Möglichkeit sollte allerdings sparsam Gebrauch gemacht werden.
  • Im Zweifel kann die Verbliste im Redewiedergabe-Wiki konsultiert werden, die für einige häufige Verben angibt, wie üblicherweise damit verfahren wird.

Zur Gedankenwiedergabe

Die Definition von "Gedanken" zum Zweck der Identifizierung von Wiedergabe ist um einiges komplexer als die von Rede und Geschriebenem, weshalb an dieser Stelle etwas weiter ausgeholt werden soll.

Zwischen der Wiedergabe von Rede oder Geschriebenem und der Wiedergabe von Gedanken gibt es einen entscheidenden Unterschied: Während es in der realen Welt theoretisch feststellbar ist, ob und wenn ja welche Rede oder welcher Text vorlag, sind Gedanken niemals von außen wahrnehmbar, und die Entscheidung, wann eine kognitive Leistung als Gedanke zu werten ist, ist alles andere als eindeutig. Die Analogie zu einem wiedergegebenen "Original" funktioniert darum auf Gedanken und Bewusstseinsinhalte übertragen nicht reibungslos. Da im Rahmen unseres Projekts systematische und formale Kriterien eine große Rolle spielen, verwenden wir dennoch ein Kategoriensystem, das für die Wiedergabe der drei Medien parallel aufgebaut ist. Gedanken werden also grundsätzlich als stumme bzw. innere Rede aufgefasst, die ebenso wie verbalisierte Rede wiedergegeben werden kann.

Diese Vorstellung von Gedanken als "stumme Rede", bzw. die Parallelität zur Wiedergabe von Gesprochenem, kann als Hilfestellung dienen, um zu entscheiden, welche Konstruktionen als Gedankenwiedergabe aufgefasst werden und welche nicht. Die oben genannte Definition des Gedankens als "bewusster, analytischer, kognitiver Prozess" ist absichtlich eng. Damit soll ausgeschlossen werden, dass Beschreibungen von Gefühls- und Stimmungszuständen oder Passagen, die aus einer stark personalen Perspektive erzählt werden, direkt als Wiedergabe annotiert werden.

Während direkte Gedankenwiedergabe oft klar gekennzeichnet ist und man sich bei indirekter Gedankenwiedergabe an der grammatischen Struktur orientieren kann (siehe hierzu auch Abschnitt indirect, Sonder- und Grenzfällen, ungewöhnliche Einleitungsverben), ist die Abgrenzung bei erzählter Gedankenwiedergabe (reported thought) besonders schwierig. Siehe hierzu auch den Abschnitt zu reported. Einige Typen von Randphänomenen im Bereich Gedankenwiedergabe werden auch im Kontext des Attributs border thematisiert.

STWR: type

Für jede Wiedergabe wird der Typ ("Auf welche Art wird wiedergegeben?") spezifiziert.

Der Typ muss immer eindeutig angegeben werden, bis auf eine Ausnahme: Konjunktivische Sätze ohne Einleitungsformel bekommen die Werte indirect und free indirect (siehe Abschnitt indirect, Sonderfälle).

direct

Definition

Bei direkter Wiedergabe wird ein Gedanke bzw. eine sprachliche oder schriftliche Äußerung einer Figur zitiert.

Annotationsspanne

  • Die Markierung umfasst nur die direkte Wiedergabe selbst. Einleitungs- bzw. Rahmenformel werden nicht annotiert (zur Rahmenformel siehe frame).
  • Falls Anführungszeichen vorhanden sind, werden diese mit markiert.
  • Zusammenhängende Passagen direkter Wiedergabe werden im Block annotiert. Die Markierung kann sich über mehrere Sätze erstrecken.

Textuelle Indikatoren

  • Die direkte Wiedergabe wird häufig (aber nicht immer) von einer Rahmenformel eingeleitet.
  • Die direkte Wiedergabe wird häufig (aber nicht immer) mit Anführungszeichen markiert und ist normalerweise auch der einzige Wiedergabetyp, der Anführungszeichen enthält.

Typische Beispiele

Rahmenformel + direkte Rede

Sie stand kerzengerade da und sagte: [frame] »Guten Abend.« [direct speech]

direkte Rede + Rahmenformel + direkte Rede

»Nach Barnow,« [direct speech ID=1] stammelte Miriam, [frame] »nehmt mich nach Barnow mit.« [direct speech ID=1]

Anmerkung: Bei diesem Beispiel werden zwei direct-speech-Annotationen vorgenommen, die über IDs verknüpft werden.

direkte Rede + Rahmenformel

»Ich hatte einen Stab, und stellte ihn in diese Ecke!«[direct speech] antwortete der hohe dunkle Mann mit hohler Stimme. [frame]

Sonder- und Grenzfälle

Zitate

Wörtliche Zitate aus Schriften werden als direkte Wiedergabe von Geschriebenem gewertet, auch wenn sie, wie in den folgenden Beispielen, in den Umtext eingebettet sind. Dabei ist es nicht nötig, zu überprüfen, ob das Zitat korrekt wiedergegeben ist, da hier die Präsentation das entscheidende ist. Selbiges gilt für die Präsentation von Zitaten von (beteiligten oder unbeteiligten) Figuren. Diese werden als direct speech annotiert. Häufig sind sie als level:2 in erzählte Wiedergabe eingelagert.

Ein solch' anschauliches Bild ist z. B. der Gang Hermanns und Dorotheens durch das „hohe wankende Korn, das die Durchschreitenden fast, die hohen Gestalten erreichte." [direct writing]

Auch diesmal pfuschte er dem Dichter ins Handwerk, indem er darzustellen versuchte, wie Hermann das unsicher schreitende Mädchen bei zunehmendem Sturm die „unbehauenen Stufen im Laubgang" herabgleitet.[direct writing]

So fabelten sie von dem „gewaltigsten Szenenerschütterer"[direct speech, level 2] und von „Shakespeares würdigen Wirkungen."[direct speech, level 2][reported speech, level 1]

Interjektionen

Diese werden auch als direkte Wiedergabe von Rede gewertet.

»Pst!« [direct speech] sagte sie [frame] und wurde ganz roth.

Fehlende Anführungszeichen

Besonders zu beachten sind die Fälle von direkter Wiedergabe, bei der die Anführungzeichen fehlen. Diese Fälle sind häufig durch vorhandene Rahmenformeln, manchmal aber auch nur durch den Kontext erkennbar. Insbesondere bei Gedankenwiedergabe werden die Anführungzeichen häufiger weggelassen.

Damit hat's gute Wege [direct thought] dachte er [frame] und spielte lustig drauf los, bis er Alles verspielt und noch Schulden dazu hatte.

Der Fürst aber hüpfte vor Freuden und rief ein über das andere mal: [frame] Meister Gerhart, Meister Gerhart.... [direct speech]

Nicht mehr direct

Überschriften

Überschriften und Titel von Büchern o.ä. werden im Gegensatz zu Zitaten nicht als direkte Wiedergabe gewertet.

Es ist nicht auszumachen, ob das erste der Kaulbachschen Blätter, auf dem eine hohe Frauengestalt in faltenreichem fließendem Gewande dem knieenden Dichter den Lorbeerkranz reicht, sich auf „die Zueignung" bezieht.

Die Zueignung wird hier trotz der verwendeten Anführungszeichen nicht markiert, da es sich um einen Titel handelt, der das Werk identifiziert (Goethes "Die Zueignung").

free_indirect

Definition

Die freie indirekte Wiedergabe (oft auch "erlebte Rede" genannt) ist eine Form der Rede-, Gedanken- oder Schriftwiedergabe (Gedankenwiedergabe ist dabei am häufigsten), bei der sich Figuren- und Erzählerstimme überlagern.

Annotationsspanne

  • Normalerweise Markierung vollständiger Sätze
  • In Ausnahmefällen findet der Wechsel von Handlungsbeschreibungen zu freier indirekter Wiedergabe auch innerhalb eines Satzes statt. Dann wird nur der entsprechende Teilsatz markiert.
  • Die Markierung kann sich über mehrere Sätze erstrecken

Textuelle Indikatoren

  • Es gibt keine Rahmenformel
  • Es gibt keine formalen Markierungen, wie z.B. Anführungszeichen

Der Erzählerstimme entsprechen:

  • Tempus (oft Präteritum)
  • Personalpronomen (typischerweise heterodiegetisch, 3. Person, statt 1. oder 2. Person, z.B. Wo war er, wo war er denn nur? statt Wo bin ich, wo bin ich denn nur?)

Der Figurenstimme entsprechen:

  • Deiktika -> Das Geschehen wird aus der Perspektive der Figuren präsentiert, z.B. heute statt an diesem Tag
  • Stil und Sprechweise (Fragen, Ausrufe, elliptische Sätze, figurentypischer Wortschatz usw.) -> hier werden Merkmale der direkten Rede deutlich

Abgrenzung anhand eines Beispiels

Er fragte sich: [frame] "Muss ich heute wirklich lernen?" [direct thought]

Er fragte sich, [frame] ob er an diesem Tag wirklich lernen müsse. [indirect thought]

Musste er heute wirklich lernen? [free indirect thought]

Typische Beispiele

Er glaubte sie zu kennen. War das nicht die Grünkramfritzen von der Ecke? [free indirect thought]

Auch sollte, auch musste es anders werden, so oder so. [free indirect thought] Marianne hatte sich´s zugeschworen.

Wenn nur Larsen erst wieder draußen war, dann wollte sie ihren Zorn gegen Alrun schon bezwingen. Das junge Weib war ja liebebedürftig. Sie würde liebevollem Zureden sich nicht verschließen. Dann wollten sie wieder gemeinsam Erinnerungen an den Toten austauschen, dann wollte sie versuchen, das Herz der Mutter für ihre Kind zurückzugewinnen. [free indirect thought]

Sonder- und Grenzfälle

Wenn Marianne zufällig Zeugin solcher Szenen war, krampfte sich ihr das Herz zusammen. Mein Gott, was sollte aus dem allen werden! Der Tote vergessen, jede Erinnerung an ihn in den Küssen des andern erstickt, das einzige was von ihm geblieben, sein unschuldiges Kind, in seinem natürlichsten Empfinden, der Liebe zur Mutter, erbittert und gekränkt!

Alrun mußte wenigstens das Kind wieder lieben. Es war ja Wahnsinn, daß sie es nicht that, ihr einziges Kind! Wie durfte dieser Mann, dieser Fremde, auch die Mutterliebe aus ihrem Herzen reißen. [free indirect thought]

Anmerkung: Sowohl bei dem Satz Mein Gott... werden!, als auch bei Alrun... reißen. erkennt man die freie indirekte Wiedergabe gut, da das Tempus der Erzählerstimme entspricht, die Sprechweise aber der Figurenstimme (z.B. Ausrufesätze, figurentypische Sprechweise wie Mein Gott oder Es war ja Wahnsinn).
Dagegen kann man bei Der Tote...gekränkt! das Tempus aufgrund der elliptischen Konstruktion nicht genau identifizieren, weshalb es sich hier theoretisch auch um eine direkte Gedankenwiedergabe handeln könnte. Da aber sowohl zuvor, als auch danach freie indirekte Wiedergabe vorliegt und keine eindeutige Abgrenzung durch einen Tempuswechsel gegeben ist, wird auch Der Tote... gekränkt! als freie indirekte Wiedergabe annotiert.

Er riß in seiner Wut von dem Feldrande ein Büschel Kornähren ab und schwenkte es wie einen Stock in der Hand. Dann stand er auf, und nun wehe ihr. [free indirect thought]

Anmerkung: In diesem Beispiel erfolgt ein Wechsel von Handlungsbeschreibung zu freier indirekter Wiedergabe innerhalb eines Satzes, so dass nur ein Satzteil markiert wird.

indirect

Definition

Indirekte Wiedergabe wird von einer Rahmenformel eingeleitet, der ein Nebensatz bzw. eine Infinitiv-Phrase untergeordnet ist, worin die Rede, die Gedanken oder die Schrift der Figur wiedergegeben werden.

Annotationsspanne

  • Umfasst den von einer Rahmenformel abhängigen Nebensatz/Nebensätze; die Rahmenformel selbst wird separat annotiert und über ID mit der indirect-Markierung verküpft (s.u. Kategorie frame)
  • Eine indirect-Markierung umfasst maximal einen Satz (ohne die Rahmenformel). Selbst wenn mehrere Einzelsätze von einer Rahmenformel abhängen, überschreitet die indirect-Markierung nie die Satzgrenze (siehe unten: "Sonder- und Grenzfälle)

Textuelle Indikatoren

Immer:

  • Es gibt eine Rahmenformel (häufig verbal, teilweise aber auch als Nominalphrase; sie kann sowohl vor oder hinter dem abhängigen Satz stehen, als auch eingeschoben sein); es kann keine indirect-Markierung ohne Rahmenformel existieren!
  • Es gibt einen untergeordneten Nebensatz/eine untergeordnete Phrase, worin der Inhalt dessen, was die Figur sagt/denkt/schreibt wiedergegeben wird.

Manchmal:

  • Konjunktiv
  • Nebensatzeinleitende Konjunktionen (dass, ob, w-Fragewörter)
  • Erweiterte Infinitiv-Sätze mit zu

Erscheinungsformen

1. Rahmenformel + Nebensatz mit Verbzweitstellung (z.B. Er sagt, er habe Hunger.)

2. Rahmenformel + Nebensatz mit dass, ob oder w-Fragewort (z.B. Er sagt, dass er Hunger habe. Er fragt, wo es ein Restaurant gibt.)

3. Rahmenformel + (erweiterter) Infinitivsatz (z.B. Er behauptet, das Restaurant zu kennen.)

Sonderfall "formelhafte Referatshinweise"

Mischform, die nicht der typischen Struktur indirekter Wiedergabe folgt, die wir aber dennoch dieser Form zuordnen. Hinweiswörter (in der frame) sind bspw. "wie", "laut", "nach", "zufolge".

Wie der Ministerpräsident ausführte, [frame] habe niemand Einspruch eingelegt.

laut Meldung unseres Korrespondenten [frame] haben sich die Tarifparteien immer noch nicht geeinigt.

Annotatoren zufolge [frame] ist die Annotation von Redewiedergabe die schwerste.

Typische Beispiele

Aus gleicher Quelle erfährt man, [frame] daß drei litthauische Gutsbesitzer durch Waldankäufe in Rußland sich ruiniert haben. [indirect writing]

Wo er war[indirect speech, non-fact], sagte er nicht. [frame]

Anmerkung: Rahmenformel kann auch hinter dem abhängigen Nebensatz stehen.

Oft bereute Marianne es jetzt, [frame] sich die schier unerträgliche Aufgabe, die beiden stets unter Augen zu haben, aufgelastet zu haben. [indirect thought]

Aber dann sagte sie sich wieder, [frame] daß sie es tragen müsse, weil es die letzte Liebespflicht gegen den Toten und sein armes, vaterloses Kind sei. [indirect thought]

Auch versichern die Süddeutschen in ihrem officiellen Rechenschaftsbericht ausdrücklich, [frame] daß die eigene Anschauung der Dinge und Personen im Norden sie in ihren Ueberzeugungen nur befestigt hätte,... [indirect writing]

Sonder- und Grenzfälle

Nicht eingeleitete indirect-Sätze

Eines Tages pochte Dr. Klausmann bei [s]einer Freundin an. Er fand sie unwirsch, geärgert, fast grob. Was er wünsche.[indirect/free indirect speech] Ewig die Fragerei wegen der Zeitung!

Anmerkung: Tritt in der Wiedergabe der Konjunktiv auf und fehlt gleichzeitig die Rahmenformel, wird sie als "ambig" zwischen indirekter und freier indirekter Wiedergabe gewertet.

Dies ist der einzige Fall, in dem bei der Wiedergabeannotation bei Typ mehr als ein Wert zugegeordnet wird!

Ungewöhnliche Einleitungsverben

In manchen Fällen können indirect-Konstruktionen auch von Verben eingeleitet werden, die üblicherweise keine Wiedergabe signalisieren.

Gefühlswörter:

Aber ach! Deine Hoffnung, [frame] daß durch uns deine Rettung kommen werde[indirect thought], ist vergeblich.

Hinweis: Entgegen früherer Regelungen werden solche Fälle einfach als indirect thought ohne border-Attribut annotiert.

Wahrnehmungwörter:

Er sah, [frame] dass es nicht so einfach ist, Redewiedergabe zu annotieren.[indirect thought]

'Sehen' wird hier im Sinne von 'bemerken' gebraucht.

Nicht mehr indirect

Immer heftiger ward der Sturm, ein Anlegen verhinderte der hohe Wellenschlag, und da der Wind gegen NW. und N. umschlug, so hielt Haesloop die Heimkehr für das Gerathenste. [reported thought]

Anmerkung: Hier keine indirekte Wiedergabe! Auch wenn hielt Haesloop und der darauf folgende Inhalt des Gedankens die...Gerathenste. an eine Rahmenformel mit Nebensatz erinnert, werden hier das formale Kriterium untergeordneter Nebensatz/Infinitivsatz nicht erfüllt! Es handelt sich stattdessen um erzählte Wiedergabe (siehe reported)

Er dachte an seine Flotte auf der See, welche in diesem Augenblick gerade die gefährlichen holländischen Küsten passieren mußte. [reported thought]

Anmerkung: Hier keine indirekte Wiedergabe! Auch wenn Er dachte und der darauf folgende Inhalt des Gedankenes an...mußte. an eine Rahmenformel mit Nebensatz erinnert, werden hier das formale Kriterium untergeordneter Nebensatz/Infinitivsatz nicht erfüllt! Der gesamte Satz wird stattdessen als reported thought annotiert. (Der Relativsatz welche...mußte wird hier mit annotiert, da angenommen wird, dass mußte epistemisch, also als Einschätzung des Sprechers, gebraucht wird.)

reported

Definition

Erzählte Wiedergabe ist eine mehr oder weniger ausführliche Erwähnung einer Sprach-, Denk- oder Schreibhandlung. Der propositionale Inhalt dieser Handlung kann, muss aber nicht mit angegeben werden.

Annotationsspanne

  • Die Markierung umfasst maximal den einen ganzen Satz oder den Satzteil, der die erzählte Wiedergabe enthält.

  • In seltenen Fällen kann die Wiedergabe auf ein einziges Wort (Verb oder Nominalphrase) beschränkt sein:

    Stattdessen hatten sie ihn vorgeladen, verhört[reported_speech], lauter Theater mit ihm aufgestellt.

Anmerkung: Konjunktionen und Subjunktionen werden mitannotiert, wenn sie zum betreffenden (Teil-)Satz gehören. Das gleiche gilt für Modifikatoren (siehe auch Grundregeln)

Textuelle Indikatoren

  • Wiedergabewörter (Verben oder Nomen), die auf ein Sprech-, Denk- oder Schreibereignis hinweisen.
  • Weist nicht die Struktur Rahmenformel + untergeordnete Phrase auf (Abgrenzung zu indirect).

Besonderheiten: Eine besondere Schwierigkeit bei reported ist die Entscheidung, ob es sich bei einem Beispiel noch um Wiedergabe oder um reinen Erzähltext handelt. Diese Entscheidung muss oft kontextbezogen getroffen werden und es gibt einen Graubereich. Hier einige Richtlinien:

Ein klarer Fall von reported weist folgenden Merkmale auf:

  • eine sprachliche/gedankliche/schriftliche Handlung wird thematisiert (z.B Er schrieb ein Buch.), nicht nur deren Ergebnis (z.B. Auf dem Tisch lag ein Buch.).
  • der Inhalt der Äußerung / des Gedankens / des Schriftstücks wird thematisiert

Bei Schriftwiedergabe muss mindestens eines dieser Kritierien erfüllt sein, d.h. eine reine Erwähnung von Schriftzeugnissen ist nicht automatisch erzählte Wiedergabe. Auch in anderen Fällen kann man bei Unsicherheit diese beiden Kriterien heranziehen, um zu entscheiden, ob man eine Annotation vornehmen sollte.

Die Annotation mit reported erfolgt generell nur bei eindeutigen Wiedergabeverben/-nomen oder klaren Kontextindikatoren, die auf eine Sprech-/Schreib-/Denkhandlung hinweisen. Zu beachten sind auch die prototypischen Definitionen für Rede, Gedanken und Schrift. Wenn ein reported-Kandidat stark von diesen abweicht, sollte gut überlegt werden, ob der Kontext trotzdem eine Annotation rechtfertigt (ggf. kann das Attribut border verwendet werden).

Einige typische Gruppen von Problemfällen werden unter "Grenz- und Sonderfälle" bzw. "Nicht mehr reported" thematisiert.

Typische Beispiele

Da wurde ihm ein Gänsebraten gereicht, den nahm er mit, wie ihm sein Herr befohlen hatte. [reported speech]

Und als sie an dem großen Standbilde der Muttergottes vorüberfuhren, das vor dem Kloster der Dominikaner steht, da kam ihm ein seltsamer Gedanke. [reported thought]

Hugo behauptet dies in seinen Briefen, freilich, um den Debats zu gefallen. [reported writing]

Sonder- und Grenzfälle

nennen / bezeichnen als etc.

weil man dich dann umsonst Selim, den Gelehrten, nennt.[reported_speech, border unspec]

Konstruktionen mit dem Verb nennen werden als reported gewertet, obwohl es es keine prototypische Sprechhandlung beschreibt. Die Annotation wird allerdings mit dem Attribut border versehen.

grüßen / verabschieden etc.

Er blieb stehen und grüsste.

Aus dem Verb grüßen ist nicht klar ersichtlich, ob es sich tatsächlich um einen sprachlichen Akt handelt. Das Ereignis kann theoretisch auch nonverbal stattgefunden haben. In solchen Fällen muss abgewogen werden: Ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass die Aktion sprachlich stattgefunden hat, wird hier reported annotiert (ähnlicher Fall: Abschied nehmen). Gibt es berechtigte Zweifel, wird von einer Annotation abgesehen.

Ergebnis statt Handlung (insbesondere schriftlich)

...da der Süden ohnehin wisse, was die nationale Pflicht erfordere; und noch im Rechenschaftsbericht haben die vertragsmäßigen Pflichten ihre Stelle gefunden. [reported writing]

In diesem Fall wird nicht die Schreibhandlung thematisiert, sondern deren Ergebnis (Rechenschaftsbericht). Solche Erwähnungen von Schriftzeugnissen werden nur dann als reported annotiert, wenn gleichzeitig der propsitionale Inhalt der schriflichen Äußerung thematisiert wird, was in diesem Beispiel der Fall ist (die vertragsmäßigen Pflichten). Vgl. hierzu auch das Beispiel unter "Nicht mehr reported".

Nicht mehr reported

Mit Musik und Gesang segelte man an den grünen Deichen, an den Wiesen und Landhäusern vorüber.

Gesang wird hier nicht annotiert, da der Inhalt des Gesanges nicht spezifiziert ist und aus dem Kontext keine kommunikative Wirkung des Gesangs hervorgeht (kommunikative Wirkung als Bedingung für sprachlichen Akt).

Weitere Beispiele

Trostworte zu finden, war unmöglich, weinend hing sie sich an den Hals ihres Gatten.[reported speech, non-fact]

Vor der Frau blieb sie stehen, unendlich flehend blickten ihre Augen, sie faltete ihre Hände, wie man sie vor Gott faltet, aber sprechen konnte sie nicht ... [reported speech, non-fact]

Anmerkung: Beide Sätze beschreiben Ereignisse, die in der Textwelt nicht real stattgefunden haben. Hier wird das Attribut non-fact vergeben.)

..., pries in pomphaften Annoncen die untrügliche und außergewöhnliche Wirksamkeit seiner Mixturen,... [reported writing]

 

STWR: Weitere Attribute

level

Definition

Das Attribut level markiert die Tiefe der Schachtelung einer Wiedergabe mit einer Zahl.

Der Default-Wert ist level:1.

Enthält eine Wiedergabe eine weitere Wiedergabe, so wird diese mit dem Attribut level:2 gekennzeichnet. Bei einer weiteren Schachtelung wird entsprechend hochgezählt.

Typische Beispiele

»Gewiß«, sagte der Bürgermeister. »Sie wurden mir heute in der Nacht angekündigt. Wir schliefen längst. Da rief gegen Mitternacht meine Frau: ›Salvatore‹, – so heiße ich – ›sieh die Taube am Fenster!‹

Im Beispiel haben die grün markierten Abschnitte die Annotation [direct speech level:1] und die gelb markierten Abschnitte zusätzlich die Annotation [direct speech level:2]. Die Markierungen überlagern sich. (Die grünen und die gelben Teile müssen in diesem Beispiel außerdem jeweils über IDs verlinkt werden, vgl. Markierungsgrundregeln)

In manchen Fällen tritt eine Schachtelungstiefe größer als 2 auf. Dies ist jedoch recht selten:

"Nun, Du meinst doch nicht, Vetter,

daß man Dich auf der Hallig erst um Erlaubniß fragen soll,

wenn man von Dir sprechen will [reported speech level:3]

[indirect thought level:2]

" [direct speech level:1]

, erwiderte Posthuma mit unterdrücktem Lachen.

Noch einmal die Aufschlüsselung:

  • [direct speech level:1]: "Nun, Du meinst doch nicht, Vetter, daß man Dich auf der Hallig erst um Erlaubniß fragen soll, wenn man von Dir sprechen will"
  • [indirect thought level:2]: daß man Dich auf der Hallig erst um Erlaubniß fragen soll, wenn man von Dir sprechen will
  • [reported speech level:3]: wenn man von Dir sprechen will

Weitere Beispiele

„Mit meinen Verwandten soll ich nicht verkehren? Uebrigens ist es sonderbar“[direct speech, level 1], setzte sie nachdenklich hinzu,

daß sie mir dasselbe von Dir sagen.[reported speech, level:2]

[direct speech, level:1]

Hier überlagern sich direkte Rede und erzählte Rede im letzten Teil des Satzes, welcher auf die eingeschobene Rahmenformel folgt.

Anmerkung: Der dass-Satz in diesem Beispiel wirkt wie indirekte Wiedergabe, es ist jedoch keine, da der Hauptsatz (Übrigens ist es sonderbar) keine wiedergabeeinleitende Rahmenformel ist. Die Konjunktion daß wird zur Markierung der erzählten Wiedergabe hinzugenommen, da sie sich eindeutig dem Teilsatz zuordnen lässt (vgl. Markierungsgrundregeln, Konjunktionen/Subjunktionen).

non-fact

Definition

non-fact (nicht-faktisch) markiert Rede-, Gedanken-, oder Schriftwiedergabe, die in der Textwelt nicht real stattgefunden hat.

Mögliche Erscheinungsformen:

  • Negationen
  • hypothetische Aussagen
  • zukünftige Aussagen
  • Fragen
  • Wünsche
  • Befehle
  • Pläne, Absichten
Achtung: Non-fact bezieht sich auf den Wiedergabeakt, nie auf den Realitätsgehalt der wiedergegebenen Aussage!

Textuelle Indikatoren

  • Negationspartikeln (nicht, kein)
  • Konjunktive
  • Frage- oder Imperativform
Bei direct und indirect finden sich diese Indikatoren nicht in der Wiedergabe selbst sondern in der Rahmenformel.

Typische Beispiele

sprechen konnte sie nicht [reported speech, non-fact]

Was wird die Gemeinde sagen? [reported speech, non-fact]

Hier kann poetisch geschaffen werden. [reported writing, non-fact]

Mögen sie sagen, was sie wollen. [reported speech, non-fact]

Sonder- und Grenzfälle

Die Wirtin wünschte nicht, dass der Fremdling unter ihrem Dache weile [indirect thought, non-fact]

Anmerkung: Auch wenn man den Satz so auslegen könnte, dass nicht der Denkakt selbst, sondern die Proposition verneint ist (Die Wirtin wünschte, dass der Fremdling nicht unter ihrem Dache weile) wird das Beispiel als non-fact annotiert, weil sich grammatikalisch gesehen die Verneinung auf wünschen bezieht.

border

Definition

Mit dem Attribut border werden Fälle markiert, welche Handlungen ausdrücken, die an der Grenze von Rede-, Gedanken- oder Schriftwiedergabe liegen. D.h. es handelt sich zwar deutlich um eine der drei Kategorien, allerdings werden nicht alle prototpyischen Kriterien der jeweiligen Wiedergabe erfüllt. (s. dazu Definition Medium)

Vornehmlich wird das Attribut border bei Gedankenwiedergabe eingesetzt. Nur bei Gedankenwiedergabe wird es durch unterschiedliche Attributwerte noch näher spezifiziert.

Ein typisches Beispiel für das Attribut border bei Wiedergabe von Rede ist hören. In einem solchen Falle wird eindeutig kein Sprechakt referenziert, dennoch muss ein Sprechakt vorgelegen haben. Annotiert wird hierbei nur, wenn der propositionale Inhalt klar dargestellt ist.

Achtung: border sollte nicht verwendet werden, wenn:

  • unklar ist, ob in der Textwelt überhaupt ein Wiedergabeakt vorliegt (z.B. Er schickte seinen Sklaven hinunter.) Solche Fälle werden nicht annotiert, außer der Kontext macht sehr klar, dass tatsächlich eine verbale Handlung stattgefunden hat
  • unklar ist, um welches Medium es sich handelt (z.B. Rede vs. Gedanken). In solchen Fällen können für Medium mehrere Werte angegeben werden.

Textuelle Indikatoren

oft bestimmte Verben oder deren Substantivierungen bei reported oder in der Rahmenformel von direct/indirect

einige typische Beispiele:

bei Redewiedergabe:

  • beten, nennen
  • hören, vernehmen

bei Gedankenwiedergabe:

  • border:state: wissen
  • border:percept: merken, sehen (Wahrnehmungsverben)

Attribute

Insgesamt werden drei border-Werte unterschieden:
1. Default-Wert: unspec (unspecified)
2. Wahrnehmung: percept
3. Zustand: state

Hinweis: Der Wert feel für Gefühlsverben wurde abgeschafft. Konstruktionen mit Gefühlsverben werden im Allgemeinen nicht als Gedankenwiedergabe markiert. Nur in Ausnahmefällen können indirect-Konstruktionen, die Gefühlsverben in der Einleitungsformel verwenden, als indirect thought aufgefasst werden. Diese werden dann auch üblicherweise nicht mit border markiert (siehe auch indirect unter Sonder- und Grenzfälle).

Typische Beispiele

Gedankenwiedergabe

Wahrnehmungsverben:

Die arme Miriam merkte diese Güte gar nicht [reported thought, non-fact, border:percept]

Zustandsverben:

man wußte nicht, woher er kam [indirect thought, non-fact, border:state]

Wiedergabe von Rede

Von Beten [reported speech, level:2, border:unspec] wußte man nichts mehr [reported thought, non-fact, border:state]

Wenn es aber wahr ist, was ich hörte, daß er seine Augen auf die schöne Susanna richtet[indirect speech, border:unspec], dann muß der Tropf gezüchtigt werden.

Nicht mehr border

So saß sie still neben den beiden fremden Herrschaften im Wagen, und nur zuweilen erhob sie sich ungeduldig, als ginge ihr die Fahrt noch zu langsam.

Anmerkung: als ginge...langsam wird nicht mehr als reported thought, border:percept annotiert, auch wenn die Formulierung auf eine Einschätzung der Figur hinweist. Der Bezug ist zu vage, zumal nur vermutet wird, dass die Figur diese Einschätzung hat.

prag

Definition

Eine sprachliche Wendung, die das Muster einer Wiedergabe aufweist, aber pragmatisch einen anderen Zweck erfüllt. Die eigentliche Funktion von Wiedergabe wird dabei aufgehoben.

Mögliche Erscheinungsformen:

  • Höflichkeitsfloskeln
  • Redewendungen
Hinweis: prag-Wendungen sind oft auch nicht-faktisch (zusätzliche Markierung mit non-fact )

Textuelle Indikatoren

  • Subjekt häufig erste Person Singular (Figur referiert eigene Aussage und weist explizit auf eigene Sprach- oder Denkhandlung hin).
  • Bei indirect und direct finden sich die Indikatoren häufig in der frame

Typische Beispiele

Nun sage man noch, das Ministerium sei nicht zufrieden. [indirect speech, prag, non-fact]

Anmerkung: Hier finden sich die Anzeichen für prag in der frame, das Attribut wird aber an die indirect-Markierung vergeben.

Wer weiß[reported thought, level:2, prag, non-fact] [direct speech, level:1]

, sagte Ferdinand langsam.

Anmerkung: Relevant ist in dem Beispiel die reported-thought-Instanz, die hier direct speech überlagert. Wer weiß ist eine Floskel.

metaph

Definition

Das Attribut metaph markiert Metaphern, die sich der Form von Wiedergabe bedienen.

Textuelle Indikatoren

  • häufig: Personifizierungen (nicht-menschliche 'Sprecher')
  • Metaphorische Wendungen, die Wiedergabewörter verwenden

Typische Beispiele

Die Erfahrung der Geschichte spricht für Treitschke. [reported speech, metaph]

Endlich erschien er und sein unstäter Blick sagte ihr schon, daß nichts mehr zu hoffen war. [indirect speech, metaph]

Die Wiederkehr des Lenzes rief die Heldenschar wieder unters Zelt. [reported speech, metaph]

Nur die Augsburger Allgemeine Zeitung druckt keine Reklame ab, der die Lüge handgreiflich auf der Stirn geschrieben steht [reported writing, non-fact, metaph]

frame

Definition

Rahmenformel für Wiedergabe; umfasst das Wiedergabeeinleitungswort der Rahmenformel, Modifikatoren und üblicherweise den Sprecher.

Frame tritt nur in Kombination mit einer direkten und indirekten Wiedergabe auf.

Annotationsspanne

  • immer Teilsatz unter Ausdehnung auf Einleitungswort und evtl. im Satz vorhandenen Sprecher
  • Satzzeichen werden mitannotiert (also auch vorangehende Kommas)
  • Modifikatoren werden mitannotiert:

    Am Montagmorgen sagte Peter mit fröhlicher Stimme: "Wir annotieren Rahmenformeln."

  • Konjunktionen werden mitannotiert, wenn sie klar dem betreffenden (Teil-)Satz zuzuordnen sind:

    Sie war erfreut, weil Peter sagte: "Wir annotieren Rahmenformeln."

    Tina sprang auf den Tisch und Peter rief aus: »Wir annotieren Rahmenformeln!«

    Anmerkung: Die Subjunktion weil kann klar dem Nebensatz zugeordnet werden, deshalb wird sie mitannotiert. Die Konjunktion und gehört dagegen nicht klar zum zweiten Teilsatz und wird daher nicht annotiert.

Attribute

pos (Position)

Werte:

  • start (Position vor der direkten/indirekten Wiedergabe)
  • mid (middle - eingeschoben in die direkte/indirekte Wiedergabe)
  • end (Position hinter der direkten/indirekten Wiedergabe)

Textuelle Indikatoren


  • immer: Vorhandensein einer direkten oder indirekten Wiedergabe
  • sehr häufig: Verb oder Nomen, dessen Bedeutung klar auf Wiedergabe verweist

Typische Beispiele

Peter rief aus: »Wir annotieren Rahmenformeln!«

»Ihr müßt mich nicht für zudringlich halten«, fing Bertha an, »mein Mann sagt, daß Ihr so edel denkt, daß es unrecht sei, Euch etwas zu verhehlen.

"Ich habe Hunger," sagte er laut.

Sonder- und Grenzfälle

Koordinationen

Wenn die Koordination eines Teilsatzes mit Handlungsbeschreibung und einer Wiedergabeeinleitung vorliegt, erstreckt sich die Markierung über beide Teilsätze, wenn der Sprecher im ersten Teilsatz steht. (Sprecher muss immer Teil von frame sein.)

Peter sprang auf den Tisch und rief aus: »Wir annotieren Rahmenformeln!«

IntExpr

Definition

Wort bzw. Wörter (kann jede Wortart sein!), die den Kern der Rahmenformel (frame) ausmachen.

Annotationsspanne

Die Markierung befindet sich immer innerhalb einer zugehörigen frame-Markierung und muss die gleiche ID haben wie diese.

Die Markierung umfasst Einzelwörter oder (seltener) mehrere direkt zusammenhängende Wörter

  • Verbaler Einleiter: Verb und ggf. Verbpartikeln (markiert wird immer nur das Vollverb)
  • Nominaler Einleiter: Nomen (ohne Artikel oder Modifikatoren)
  • Phrase mit Verb und Nomen: Verb (ggf. mit Verbpartikeln) und Nomen (ohne Modifikatoren)
  • Sonstiger Einleiter (z.B. ...in dem noch ungewiß ist, wie sich dein Schicksal gestalten werde)

Zusammengehörige Einzelwörter werden als eine Annotation markiert, sofern sie nicht durch Modifikatoren o.ä. getrennt sind, z.B. Er nahm Bezug ... im Gegensatz zu Er nahm darauf Bezug ...

Textuelle Indikatoren

  • immer: Vorhandensein einer Rahmenformel
  • sehr häufig: Verb oder Nomen, dessen Bedeutung klar auf Wiedergabe verweist

Typische Beispiele

Verbaler Einleiter

"Ich habe Hunger," sagte er laut.

Verbaler Einleiter mit Hilfsverb

Annotiert wird immer das Vollverb.

"Ich habe Hunger," begann er zu jammern.

Verbaler Einleiter mit Partikel

»Ihr müßt mich nicht für zudringlich halten«, fing Bertha an, »mein Mann sagt, daß Ihr so edel denkt, daß es unrecht sei, Euch etwas zu verhehlen.

Nominaler Einleiter

Der Gedanke, dass sie ihn verlassen könnte, war erschreckend.

Phrase

Ihm kam der Gedanke, daß er vielleicht die Kinder wieder zum Leben bringen könnte.

 

speaker

Definition

Quelle des Wiedergegebenen; sprechende/denkende/schreibende Person, in seltenen Fällen auch Tiere bzw. andere Instanzen

Annotationsspanne

speaker befindet sich immer innerhalb einer zugehörigen frame-Markierung und muss die gleiche ID haben wie diese. Auch wenn ein Sprecher außerhalb der frame identifzierbar ist (z.B. im vorhergehenden Satz), wird dieser nicht annotiert.

  • Meist Einzelwörter: Name, Appellativ, Nomen (ohne Modifikatoren) oder Pronomen
  • Mehrere aufeinander folgende Wörter, wenn mehrteilige Namen oder Titel auftreten: (z.B. Wilhelm Meister, Dr. No, Herr Baron von Innstetten)
  • Wenn mehrere, mit Konjunktionen verknüpfte Sprecher genannt sind, werden diese einzeln markiert

Textuelle Indikatoren

  • immer: Vorhandensein einer Rahmenformel
  • Eigennamen, Appellative, Pronomen, Titel

Typische Beispiele

Pronomen

Ihm kam der Gedanke, daß er vielleicht die Kinder wieder zum Leben bringen könnte.

Anmerkung: In diesem Beispiel ist der Speaker nicht identisch mit dem Satzsubjekt (Subjekt ist der Gedanke).

Name

»Ihr müßt mich nicht für zudringlich halten«, fing Bertha an, »mein Mann sagt, daß Ihr so edel denkt, daß es unrecht sei, Euch etwas zu verhehlen.

Nomen

Der alte Mann sagte, dass er müde sei.

Der Sperling rief: "Der Frühling ist gekommen!"

Mehrere Sprecher

Herr Schmidt und Paula Meyer riefen: "Kommt nach draußen!"